A24 und der Kult des Erhabenen: Warum ein Indie-Studio das Kino wieder metaphysisch gemacht hat.
Man kann heutzutage kaum noch über Kino reden, ohne A24 zu erwähnen. Zumindest dann nicht, wenn man Filme betrachtet, welche nicht unbedingt dem Mainstream entsprechen und solche die noch originelle Geschichten erzählen wollen.
Diese drei Buchstaben sind längst mehr als ein Logo – sie sind ein Versprechen. Wenn das A24-Logo im Dunkeln aufleuchtet, weiß man: Gleich passiert was. Etwas seltsames, schönes, vielleicht sogar beunruhigendes.
Während Hollywood weiter nach dem größten Publikum sucht, sucht A24 nach Bedeutung. Wo die Großen auf Effekte, auf Franchises und Profitanalysen setzen, vertraut A24 auf Gefühl. Diese Filme sind leiser, manchmal sperrig, manchmal sogar unbequem – aber sie haben etwas, das den meisten Blockbustern fehlt: Seele.
Das eigentlich Faszinierende: A24 hat das Kino wieder metaphysisch gemacht.
Sie drehen keine Filme über Geister, sondern mit Geistern – und die spuken im Inneren ihrer Figuren. Bei Ari Aster, Robert Eggers oder Rose Glass geht es nicht um das Übernatürliche, sondern um das Unaussprechliche. Das, was Menschen zu Göttern, Monstern oder beidem zugleich macht.
Denk an die Sonne in Midsommar: dieses ewige, blendende Licht, das langsam alles verschlingt. Oder an Hereditary, wenn Toni Collette beim Abendessen ihr Innerstes herausbrüllt – das ist keine Horrorfigur, das ist eine Mutter, die an der Realität zerbricht. In The Lighthouse riecht man das Salz, spürt die Isolation, und irgendwann weiß man nicht mehr, ob die Männer verrückt werden oder wir.
In Saint Maud glaubt eine junge Frau, Gott zu fühlen – und der Film lässt uns genau diesen Moment körperlich miterleben. In The Green Knight reitet ein Ritter in den Tod, nur um sich selbst zu erkennen. Und Everything Everywhere All at Once verwandelt die größte Absurdität in die einfachste Wahrheit: Liebe ist das Einzige, was bleibt, wenn alles auseinanderfällt.
Diese Filme funktionieren wie moderne Mythen. Sie wollen nichts erklären – sie wollen, dass du dich verlierst. A24 hat verstanden, dass Kino nicht vom Verstehen lebt, sondern vom Erleben.
Was mich immer wieder beeindruckt: Dieses Studio traut sich, Regisseur*innen machen zu lassen.
Ari Aster darf über Trauer und Familie schreiben, als würde er eine griechische Tragödie neu erzählen. Robert Eggers darf seine Figuren in nordische Mythen werfen, mit alter Sprache und ohne Kompromisse. Alex Garland lässt in Men eine Frau gegen die Archetypen des Patriarchats kämpfen, bis sie sich selbst im Kreislauf der Geburt wiederfindet.
All das würde bei den großen Studios niemals durchgewunken werden. Und genau deshalb brauchen wir A24.
Ihre Filme sind nicht perfekt – und das sollen sie auch gar nicht sein. Sie sind mutig, kantig, seltsam. Manchmal scheitern sie an ihrem eigenen Ehrgeiz. Aber lieber das, als die nächste anonyme Content-Maschine aus dem Franchise-Baukasten.
A24 hat das Autorenkino wiederbelebt, das man längst für tot erklärt hatte. In den 70ern waren es Kubrick, Coppola, Altman oder Bergman, die Filme wie Gebete gedreht haben – dunkel, zweifelnd, groß. Heute sind es Aster, Eggers, Garland oder Rose Glass, die diesen Staffelstab übernommen haben. Und das mit einer erstaunlichen Konsequenz.
Das ist kein Kino, das gefallen will. Das ist Kino, das dich fordert. Filme, die dich an den Abgrund führen – und dich zwingen, hineinzuschauen.
Und jetzt sieht man überall, wie dieser Mut weiterwirkt. Die Philippou-Brüder mit Talk to Me und Bring Her Back, Oz Perkins mit Longlegs, Jane Schoenbrun mit I Saw the TV Glow – das alles sind Kinder von A24, auch wenn nicht alle Filme dort entstanden sind. Sie tragen denselben Geist in sich: diesen Willen, Horror, Emotion und Bedeutung zu vermischen, bis man sie nicht mehr auseinanderhalten kann.
A24 hat das Kino nicht einfach verändert – sie haben geschafft, was heutzutage eigentlich nicht mehr machbar schien. Wir Filmfans können glauben:
An das Staunen, an das Erhabene, an das Gefühl, dass ein Film größer sein darf als das, was er erzählt.
Und jedes Mal, wenn das A24-Logo auf der Leinwand erscheint, ist es fast ein bisschen wie ein Versprechen:
Man lehnt sich zurück, atmet aus – und weiß: Gleich passiert was. Etwas, das man vielleicht nicht versteht, aber ganz sicher nie wieder vergisst.
Herzlichst, Sebastian



