"Ladies and gentlemen, please stay tuned for a live television first... as we attempt to commune with the devil." - Jack Delroy
Es gibt Filme, die nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern wie ein Spiegel wirken – ein Spiegel, in dem man plötzlich erkennt, wie sehr wir alle an Sensation, Spektakel und Schlagzeilen hängen. Late Night with the Devil ist so ein Film. Er spielt zwar in den 70er-Jahren, einer Zeit, in der das Fernsehen noch eine Art nationales Lagerfeuer war, aber seine Botschaft trifft mitten ins Heute. Damals saßen Millionen Menschen gleichzeitig vor den Bildschirmen, um gemeinsam zu lachen, zu staunen – oder eben zu schockiertem Schweigen zu erstarren. Heute scrollen wir durch TikTok-Clips und YouTube-Livestreams, aber der Mechanismus ist der gleiche geblieben: Je krasser, desto besser.
Und genau das entlarvt dieser Film. Er zeigt uns einen TV-Moderator, der im verzweifelten Versuch, seine Karriere zu retten, bereit ist, jedes Tabu zu brechen. Man könnte fast sagen, die Sendung im Film ist ein Vorläufer von Reality-TV, Trash-TV oder reißerischen True-Crime-Dokus. Immer wieder die gleiche Frage: Wie weit gehen wir für Einschaltquoten? Was sind wir bereit, im Namen der Unterhaltung zu ertragen – oder gar zu feiern?
Dass Regie-Duo Cameron und Colin Cairnes diese Medienkritik in Form eines Found-Footage-Horrors umsetzt, macht die Sache umso cleverer. Statt uns mit erhobenem Zeigefinger zu belehren, locken sie uns mit Retro-Charme in eine Late-Night-Show, die uns Stück für Stück in den Abgrund reißt. Wir lachen, wir staunen – und irgendwann erwischen wir uns dabei, dass wir genauso gebannt auf den Bildschirm starren wie das Studiopublikum.
Die Fakten: Erscheinungsjahr: 2023, Genre: Horror / Found Footage / Mockumentary, Laufzeit: 93 Minuten, FSK: 16
Die Story: Es ist Halloween 1977. Der Late-Night-Talker Jack Delroy steckt mitten in der Quotenkrise. Seine Show Night Owls droht den Bach runterzugehen, und die Konkurrenz ist stärker denn je. Also wagt er den ultimativen Tabubruch: eine okkulte Halloween-Spezialsendung, live auf Sendung, mit Gästen, die das Publikum fesseln sollen – ein Medium, ein Skeptiker, eine Parapsychologin, und das Highlight: ein junges Mädchen namens Lilly, das als einzige Überlebende einer satanischen Sekte gilt.
Zunächst läuft alles wie ein makabrer, aber kalkulierter Showeffekt. Doch im Laufe der Sendung bricht die Fassade – und die Zuschauer, im Studio wie zuhause, erleben eine Nacht, die buchstäblich die Hölle entfesselt.
Der eigentliche Star des Films ist nicht der Demon, nicht das Blut, sondern die Atmosphäre. Die Cairnes-Brüder haben das 70er-Fernsehen so authentisch nachgebaut, dass man sich sofort in eine alte VHS-Aufnahme versetzt fühlt: das warme Studiolicht, die Farben, die Kostüme, sogar die Art, wie die Kameras schwenken – alles wirkt echt.
Das macht die Eskalation umso wirkungsvoller. Je länger die Show läuft, desto stärker bricht die Fassade. Die Geister beschränken sich nicht mehr auf kleine Effekte, sondern übernehmen die Bühne. Und während Jack verzweifelt versucht, die Kontrolle zu behalten, hat man als Zuschauer längst verstanden: hier gibt es kein Happy End.
David Dastmalchian war immer einer dieser Schauspieler, die man aus Nebenrollen kennt – sei es bei Nolan, Villeneuve oder in diversen Superheldenfilmen. Hier aber trägt er den ganzen Film. Sein Jack Delroy ist gleichermaßen charismatisch wie verzweifelt, ein Showman, der für den letzten Rest Ruhm buchstäblich bereit ist, alles zu opfern. Man schwankt permanent zwischen Mitleid und Abscheu, zwischen Bewunderung für seinen Einsatz und Ekel vor seiner moralischen Leere.
Im letzten Drittel zieht Late Night with the Devil alle Register. Die Show bricht zusammen, die Grenze zwischen Studio und Unterwelt verschwimmt, und wir als Zuschauer wissen nicht mehr, was echt ist, was Halluzination, was dämonische Manifestation. Die Cairnes-Brüder spielen geschickt mit der Metaebene: Wir sehen eine Aufzeichnung, die längst Vergangenheit ist, und trotzdem packt uns das Grauen so, als säßen wir live dabei.
Und genau hier liegt die Stärke des Films: Er ist nicht nur ein Horrorfilm, er ist ein Kommentar über unsere Gier nach Spektakel. Über einen Showmaster, der alles verkauft – seine Gäste, sein Publikum, und am Ende auch seine Seele.
Late Night with the Devil ist kein gewöhnlicher Gruselfilm. Er ist clever konstruiert, perfekt ausgestattet und dazu noch mit einem Hauptdarsteller, der endlich die Rolle bekommen hat, die er verdient. Wer Horror liebt, oder sagen wir besser Grusel, der findet hier einen echten Leckerbissen: atmosphärisch dicht, teuflisch unterhaltsam und verstörend bis zum Schluss.
Für mich einer der spannendsten Horrorfilme der letzten Jahre – und einer, der einmal mehr beweist, dass das Böse am stärksten wirkt, wenn es mitten in unsere vertraute Welt einbricht.
Herzlichst Sebastian



