"Sie ist das traurigste Mädchen, dass je einen Martini hin der Hand gehalten hat" - Sophia
Wenn bei euch der Abspann von Vanilla Sky über den Bildschirm läuft, gibt es genau zwei Möglichkeiten!
Variante A:
Ihr fragt euch ernsthaft, mit welchem sinnlosen Quatsch ihr gerade über zwei Stunden Lebenszeit verschwendet habt. Schließlich habt ihr gerade einen Film gesehen, der nichts als Fragezeichen hinterlässt und bei dem ihr euch fühlt, als hätte jemand eine halbe Staffel Black Mirror, ein romantisches Drama mit Sci-Fi-Elementen gemixt – und das Ganze dann auf Speed geschnitten.
Variante B:
Ihr seid hin und weg. Schließlich habt ihr in den letzten zwei Stunden einen wirklich besonderen und außergewöhnlichen Film gesehen. Einen Film, der euch herausfordert und euch wirklich mitnimmt. Vanilla Sky besteht aus mehreren Ebenen. Nicht alles macht (auf den ersten Blick) Sinn, und nicht alles muss Sinn ergeben. Aber ihr wisst: Dieser Film hat etwas mit euch gemacht.
Ich hoffe sehr, ihr landet bei Variante B, denn Vanilla Sky ist meiner Meinung nach schlicht fantastisch. Ich kann aber tatsächlich jeden verstehen, der sich für Variante A entscheidet.
Die Fakten: Erscheinungsdatum: 2001, Genre: Mystery / Drama / Sci-Fi, Laufzeit: 137 Minuten, FSK: 12
Die Story: David Aames ist reich, schön, verwöhnt – und lebt in New York wie auf Wolken. Partys, Frauen, Luxus – alles da. Doch nach einem verheerenden Autounfall mit seiner eifersüchtigen Affäre Julie verändert sich sein Leben radikal. Sein Gesicht ist entstellt, sein Verstand bröckelt, Realität und Traum verschwimmen. Und dann ist da noch Sofia, die einzige Konstante in seinem gefühlt zersplitternden Universum.
Was Vanilla Sky so eigen macht, ist nicht nur die sehr spezielle Handschrift von Regisseur Cameron Crowe (der ja eigentlich eher für emotionale Feelgood-Filme wie Almost Famous bekannt ist), sondern diese alles durchziehende, melancholische Grundstimmung. Alles wirkt irgendwie steril, kühl, distanziert – wie ein Traum, bei dem man beim Aufwachen nicht mehr weiß, ob er schön oder furchtbar war. Und genau das ist das Ding: Vanilla Sky ist ein Fiebertraum auf Zelluloid. Tom Cruise spielt hier gegen sein eigenes Image – und zwar ziemlich gut. Kein überheblicher Sunnyboy à la Top Gun, sondern ein gebrochener, verzweifelter Mann, der sein Leben, seine Identität und irgendwann auch seine Realität verliert.
Natürlich – und das muss man sagen – ist das alles ganz schön dick aufgetragen. Der Film will viel. Sehr viel. Traum vs. Realität, Liebe vs. Ego, Leben vs. Simulation. Manchmal denkt man, Vanilla Sky hätte lieber ein Musikvideo sein wollen. Oder eine Kunstausstellung. Oder einfach ein philosophisches Essay, das jemand nachts auf Speed geschrieben hat. Aber das ist auch irgendwie der Reiz. Es ist nicht perfekt. Es ist sogar stellenweise ziemlich drüber. Aber es ist mutig. Und stilistisch stark. Es ist einfach eine besondere Ausnahmeerscheinung aus Hollywood.
Die Musik – alter Schwede. Der Soundtrack ist fast ein eigener Charakter. Sigur Rós, Radiohead, Peter Gabriel, Jeff Buckley … jede Szene hat einen Klangteppich, der einem direkt ins Herz (oder ins Unterbewusstsein) zieht. Ich würde fast sagen: Vanilla Sky ist eine Art Spotify-Playlist mit Bildern. Melancholisch, verträumt, traurig-schön.
Aber – und jetzt kommt’s – der Film polarisiert. Es gibt Leute, die halten das alles für überbewerteten Kitsch. Für pseudo-tiefgründigen Quatsch mit Starbesetzung. Und das kann ich sogar nachvollziehen. Die Auflösung? Tja. Ob man sie nun als cleveren Mindfuck oder billigen „Was zur Hölle war das?!“-Move empfindet, hängt stark davon ab, ob man Lust hat, sich auf so ein Konzept wie einzulassen.
Unterm Strich: Vanilla Sky ist wie ein Traum, den man am nächsten Morgen halb vergisst, bei dem man sich aber sicher ist, dass er wichtig war. Der Film ist sperrig, stylish, anstrengend – aber er bleibt hängen. Und vielleicht ist das die größte Kunst: nicht alles zu erklären, sondern etwas zu hinterlassen, das sich mit der Zeit entfaltet. Wie so ein Popsong, bei dem du erst beim zehnten Hören merkst, worum’s geht.
Herzlichst Sebastian