„You can’t run forever. But you can try.“
Manchmal erwischt einen ein Film so richtig kalt. Ich hab Strange Darling eigentlich nur wegen der schönen Retro-Optik und dem „auf 35mm gedreht!!“-Hype geschaut – und war völlig unvorbereitet auf das, was da kommt. Keine großen Erwartungen, keine Ahnung, was mich erwartet – und genau das war wohl das Beste daran.
Es fängt ziemlich klassisch an: eine Frau, blutverschmiert, rennt durch den Wald, ein Typ mit Schrotflinte hinter ihr her. Ich dachte: Okay, das wird jetzt so ein Indie-Thriller mit Katz-und-Maus-Spiel, bisschen Survival, bisschen Spannung, paar Backwood-Vibes. Aber weit gefehlt. Denn Strange Darling denkt überhaupt nicht daran, sich in ein Genre einsortieren zu lassen – und das ist ziemlich genial.
Die Fakten: Erscheinungsdatum: 2023, Genre: Thriller / Mystery / Independent, Laufzeit: 93 Minuten FSK: Ab 18
Die Story: Eine junge Frau mit dem Spitznamen „The Electric Lady“ wird von einem mysteriösen Mann mit einer Schrotflinte durch die Wälder Oregons gejagt. Was wie eine simple Verfolgungsjagd beginnt, entpuppt sich als ein komplexes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Täter und Opfer – wobei sich die Rollen immer wieder verschieben. Hinter der Jagd steckt ein dunkles Geheimnis und ein perfides Spiel mit Täuschung, Macht und Identität.
Ohne zu viel zu verraten (auch wenn’s schwerfällt!): Die Figuren sind alles andere als das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Und genau das macht den Film so spannend – man wird ständig aufs Glatteis geführt, weiß nie genau, wem man trauen kann oder was als Nächstes passiert. Dieser ständige Perspektivwechsel und die unterschwellige Bedrohung sorgen für ein richtig intensives Gefühl, das einen nicht mehr loslässt.
Schauspielerisch ist der Film auch richtig stark. Willa Fitzgerald – man kennt sie vielleicht aus „Scream“ oder „Reacher“ – ist hier eine absolute Wucht. Zwischen zerbrechlich, verführerisch, eiskalt und völlig unberechenbar zeigt sie echt alles. Und Kyle Gallner ist sowieso immer gut, aber hier... wow. Der Typ hat so eine fiebrige Nervosität drauf, dass einem beim Zuschauen fast unwohl wird – im besten Sinne.
Was mich aber wirklich abgeholt hat, ist die Optik. Gedreht auf echtem 35mm-Film (ja, wirklich analog!), sieht das Ganze einfach unfassbar gut aus. Körnig, dreckig, warm, mit dieser ganz besonderen Haptik, die digitale Produktionen einfach nicht hinbekommen. Die Farben sind satt, das Licht ist oft fast schon malerisch, aber ohne dass es zu gestylt wirkt. Man spürt den Schweiß, das Blut, die Hitze dieser Wald-Szenerie. Giovanni Ribisi war hier zum ersten Mal als Kameramann tätig – und ich hoffe sehr, dass das nicht sein letzter Einsatz in dieser Rolle war.
Auch musikalisch ist der Film toll komponiert – kein bombastischer Score, sondern eher ein atmosphärisches Surren, das sich wie eine zweite Haut um den Film legt. Besonders in den ruhigeren Momenten wirkt das enorm stark. Und davon gibt es mehr, als man denkt. Strange Darling hetzt nicht nur von Szene zu Szene – er nimmt sich auch Zeit. Und gerade das macht die brutalen Momente umso intensiver.
Wenn man so will, ist Strange Darling ein Serienkiller-Film – aber einer, der den Spieß umdreht. Im wahrsten Sinne. Und das macht er mit so viel Stil und Cleverness, dass ich ihn fast schon ein bisschen liebe. Klar, es ist kein Mainstream-Kino, es ist fordernd, auch mal verstörend – aber genau deswegen so sehenswert.
Ich wünschte, ich hätte den Film im Kino gesehen. Schön allein, irgendwo hinten, mit Cola und zu viel Popcorn – und am Ende leicht schockiert, aber auch ein bisschen begeistert. So wie damals bei Gone Girl oder Hard Candy. Ihr wisst schon, diese Filme, die einem nachher noch eine Weile im Kopf rumschwirren.
Strange Darling war für mich eine der Filmüberraschungen des Jahres. Und vielleicht auch ein kleiner Kultfilm in spe. Wenn ihr also mal wieder Lust auf etwas ganz anderes habt – schaut rein. Aber glaubt nicht, was ihr seht. Wirklich nicht.
Herzlichst Sebastian