"Bewegung ist niemals stumm. Sie ist eine Sprache. Sie ist eine Reihe energetischer Formen, die sich wie Worte in der Luft schreiben, Sätze bilden. Wie Gedichte. Wie Gebete.“ - Madame Blanc
Eigentlich bin ich kein Freund von Remakes. Meistens braucht sie kein Mensch, meistens sind sie schlechter als das Original. Umso überraschter war ich 2018, als Luca Guadagnino es tatsächlich gewagt hat, Dario Argentos Suspiria neu zu interpretieren – und dabei keinen billigen Abklatsch geliefert hat, sondern ein komplett eigenes Werk. Ein Film, der zwar dieselben Eckpfeiler hat (eine Tanzschule, ein Hexenzirkel, eine ahnungslose junge Frau), aber daraus eine völlig andere Erfahrung formt.
Argentos Suspiria von 1977 war ein Farbenrausch, ein fiebriger Albtraum, der eher wie ein böser Märchentrip wirkte. Guadagnino hingegen zieht den Stecker: kaltes Berlin, graue Fassaden, ein ständig bedrückendes Gefühl. Statt Neonfarben herrschen Braun, Grau und Blutrot. Allein durch diese Entscheidung fühlt sich sein Film schon wie das Gegenstück zum Original an – und genau das macht ihn so spannend.
Die Fakten: Erscheinungsjahr: 2018, Genre: Horror / Drama / Mystery, Laufzeit 152 min, FSK 16
Die Story: Susie Bannion, eine junge Amerikanerin, kommt 1977 nach West-Berlin, um an der renommierten Helena-Markos-Tanzakademie zu studieren. Doch schnell merkt sie, dass hier irgendetwas nicht stimmt: Tänzerinnen verschwinden, Lehrerinnen wirken fast sektenartig, und über allem hängt ein dunkler Bann. Stück für Stück taucht Susie tiefer ein – in die Welt des Tanzes, in die Machtspiele der Direktorinnen, und in eine Hexenvereinigung, die die Akademie wie ein Spinnennetz durchzieht.
Das Herzstück des Films ist ohne Zweifel die große Tanzszene ungefähr zur Mitte des Films. Susie tanzt voller Hingabe, mit einer fast schon unheimlichen Körperlichkeit – und im selben Moment wird eine andere Tänzerin, eingesperrt in einem verspiegelten Raum, durch Susies Bewegungen regelrecht zerfetzt. Jeder Sprung, jede Drehung bricht Knochen, verdreht Glieder, zerreißt Sehnen. Das Ganze ist so gnadenlos choreografiert, dass einem der Atem stockt.
Und das Geniale: Es ist keine plumpe Splattershow. Guadagnino inszeniert es wie eine perfide Symbiose von Kunst und Gewalt. Tanz als Ritual, Tanz als Folter, Tanz als Beschwörung. Ich kann mich an kaum eine Szene im modernen Horror erinnern, die so verstörend und gleichzeitig so ästhetisch inszeniert ist. Genau da zeigt sich, dass Suspiria eben mehr ist als ein reiner Hexenfilm – er ist ein Kunsthorror, der dich gleichzeitig fasziniert und abstößt.
Und dann das Finale. Guadagnino dreht die Schraube noch einmal komplett an. Susie offenbart ihre wahre Rolle, und im Keller der Tanzakademie entfaltet sich ein Ritual, das mehr Orgie als klassischer Showdown ist. Tänzerinnen, Hexen, Blut, nackte Körper – alles wirbelt durcheinander in einem Rausch aus Rot. Es ist eine Abfolge von Bildern, die sich wie eine Mischung aus Kunstinstallation und Albtraum anfühlen. Kein klassisches Ende, kein „Monster besiegt“ – sondern ein apokalyptisches Gemälde voller Tod, Ekstase und bizarrer Schönheit. Man kann das Finale hassen, man kann es lieben – aber man wird es ganz sicher nicht vergessen.
Während das Original hauptsächlich über Farben und Musik funktionierte, baut das Remake viel mehr auf die Figuren. Dakota Johnson spielt Susie sehr zurückhaltend, fast naiv – was perfekt funktioniert, weil sie dadurch in diese Welt hineingezogen wird, ohne dass wir sofort alles durchschauen. Und Tilda Swinton ist eh eine Klasse für sich: Sie spielt gleich mehrere Rollen, darunter die Lehrerin Madame Blanc und sogar einen alten Psychiater. Klingt verrückt, funktioniert aber wunderbar.
Auch die politische Atmosphäre von Berlin 1977 ist mehr als nur Kulisse. RAF, Kalter Krieg, eine zerrissene Gesellschaft – all das schwingt im Hintergrund mit und verstärkt dieses Gefühl von Unsicherheit.
Noch ein Punkt, der mich komplett überzeugt hat: die Musik von Thom Yorke. Wo Goblin im Original mit wildem Progrock den Wahnsinn vertonte, arbeitet Yorke viel subtiler. Sein Score ist melancholisch, manchmal fast traurig, und trotzdem durchzogen von Bedrohung.
Guadagninos Suspiria ist kein Film für nebenbei und sicher nichts für Leute, die einfach mal schnell erschreckt werden wollen. Er ist schwer, er ist bedrückend, er ist lang – aber er ist auch hypnotisch, einzigartig und unglaublich mutig. Kunst als Film oder Ein Kunstfilm. Gerade die große Tanz-Folter-Szene und das blutrote Ritual im Finale zeigen, wie sehr Guadagnino Kunst und Horror miteinander verschmelzen lässt.
Kein Wunder also, dass dieser Film so stark polarisiert hat. Die einen finden ihn endlos langweilig, verkopft und viel zu sperrig, die anderen sehen darin ein Meisterwerk, das das Genre mutig in eine völlig neue Richtung geführt hat. Und genau das ist vielleicht seine größte Qualität: Suspiria zwingt dich, Stellung zu beziehen. Du kannst ihn nicht einfach „okay“ finden – entweder du verachtest ihn oder du verehrst ihn. Für mich persönlich gehört er zu den spannendsten Horrorfilmen der letzten Jahre, auch wenn ich nachvollziehen kann, warum er nicht jeden abholt.
Herzlichst Sebastian