Akira

Geschrieben am 25.07.2025
von Sebastian

"Die Zukunft ist keine gerade Linie. Sie ist voller Scheidewege. Es muss eine Zukunft geben, die wir für uns selbst wählen können."


Wenn man über die Meilensteine der Filmgeschichte spricht – ich meine die großen Momente, in denen sich das Kino spürbar verändert hat – dann tauchen da meist dieselben Namen auf: Citizen Kane, Star Wars, Pulp Fiction, usw..  Alles richtig. Aber wehe dem, der Akira vergisst. Denn Akira ist nicht nur ein stilprägendes Meisterwerk des Anime-Kinos, sondern ein Film, der – ganz nüchtern betrachtet – das Medium Animation neu definiert hat. Und vielleicht sogar ein ganzes Genre, wenn nicht ein ganzes Jahrzehnt, geprägt hat.

Und da wir in der westlichen Welt, oftmals den Anime unterschätzen, ihn als Kinderfilme abtun oder einfach nicht genau wissen was uns erwartet, ist dieser Meilenstein der Filmgeschichte bei uns relativ unter dem Radar. Das will ich (zumindest für die Leser hier) heute ändern. 

Akira ist nichts weniger als einer der besten und einflussreichsten Filme aller Zeiten. Zeichentrick ja, fantastisch aber sowas von! 

 

Die Fakten: Erscheinungsjahr: 1988, Genre: Science-Fiction, Cyberpunk, Action, Anime, Laufzeit: ca. 124 Minuten, FSK: 16

Die Story: Wir schreiben das Jahr 2019. In der dystopischen Megacity Neo-Tokyo, aufgebaut auf den Ruinen nach einem zerstörerischen Krieg, ist das gesellschaftliche Gefüge brüchig. Straßenkids auf Motorrädern liefern sich Kämpfe mit rivalisierenden Gangs. Die Regierung verliert langsam die Kontrolle. Und mittendrin zwei Freunde: Kaneda, der Anführer einer Motorradgang, und Tetsuo, der Außenseiter. Als Tetsuo nach einem Unfall mit einem mysteriösen Kind in Kontakt kommt, entfaltet sich in ihm eine zerstörerische Macht – eine Macht, die tief in der Vergangenheit Neo-Tokyos verankert ist. Und der Name, der über allem schwebt: Akira.

 

Jetzt mal ehrlich: Wer Akira zum ersten Mal sieht, könnte meinen, man hat sich versehentlich mitten in einen Fiebertraum verirrt. Aber was für einer! Dieser Film explodiert einem förmlich ins Gesicht – visuell, akustisch, atmosphärisch. Und das im besten Sinne. Die Animationen gehören auch über 35 Jahre nach Erscheinen zu den besten, die je auf die Leinwand gebracht wurden. Jede Bewegung, jedes Lichtspiel, jede Explosion ist handgezeichnet – mit einem Detailgrad, der fast schon irrsinnig ist.

Und genau das macht Akira so besonders: Dieser Film wurde nicht einfach gemacht, er wurde besessen erschaffen. Otomo hat hier eine Welt gebaut, die vor Leben, Verfall und Wahnsinn nur so strotzt. Es ist das Kino einer Generation, die sich vor der Zukunft fürchtet – und gleichzeitig nicht aufhören kann, auf sie zuzurennen. Der Look ist düster, neonüberflutet, brutal – aber auch unendlich stilisiert. Ohne Akira gäbe es The Matrix nicht, Ghost in the Shell wäre nicht dasselbe, und die halbe Ästhetik moderner Cyberpunk-Welten hätte nie das Licht der Welt erblickt.

Aber Akira ist mehr als Stil. Er hat Substanz. Und zwar eine gewaltige. Es geht um Macht, um Kontrollverlust, um Freundschaft und Verrat, um ein System, das am eigenen Gewicht zerbricht. Es ist eine zutiefst politische Geschichte, eingebettet in ein audiovisuelles Gewitter. Und was Otomo hier erzählt, ist aktueller denn je: Wie viel Macht darf ein Mensch besitzen? Was passiert mit Identität, wenn Technologie den Körper überformt? Und wie geht man mit einer Welt um, die längst ihre moralischen Koordinaten verloren hat?

Der Film überrollt einen nicht nur, er nimmt sich auch seine bizarren, stillen Momente. Diese albtraumhaften Körperverformungen, die mutierten Formen, die buchstäblich aus dem Fleisch quellen – das ist nicht nur Body Horror auf höchstem Niveau, das ist eine Metapher für Entfremdung, für pubertäre Wut, für das Aufplatzen einer Welt, die zu lange unter Druck stand.

Und bei all dem Wahnsinn ist da Kaneda. Vielleicht einer der coolsten Anime-Charaktere aller Zeiten, mit seinem ikonischen roten Motorrad (kleiner Einschub: dieses Motorrad ist wahrscheinlich das berühmteste Zweirad der Filmgeschichte, sorry E.T.). Er ist kein klassischer Held, aber er hält die Geschichte zusammen. Und in der Konfrontation mit Tetsuo zeigt sich: Das hier ist letztlich auch eine Geschichte über zwei Freunde, die sich in einer unmenschlichen Welt verlieren.

Akira ist kein einfacher Film. Er ist laut, komplex, verstörend – und genau das macht ihn so groß. Er funktioniert nicht wie klassische westliche Erzählungen. Er verlangt Aufmerksamkeit, Offenheit und ein bisschen Mut. Aber wer sich einlässt, wird belohnt. Mit einem Film, der nicht einfach altert, sondern eher wie ein Monument in der Filmgeschichte steht.

Kurz gesagt: Akira ist nicht nur ein Anime. Er ist ein Gesamtkunstwerk, ein Filmgewitter, ein Statement. Und es ist ein kleines Wunder, dass so ein Film überhaupt gemacht wurde. Dass er immer noch wirkt wie ein Zukunftsschock von morgen. Und dass man ihn nach dem Abspann erstmal sacken lassen muss – tief, ganz tief.

Herzlichst Sebastian