The Neon Demon

Geschrieben am 17.06.2025
von Sebastian

"Ich kann nicht singen, ich kann nicht tanzen, ich kann nicht schreiben... kein wirkliches Talent. Aber ich bin hübsch, und ich kann mit Schönheit Geld verdienen." - Jesse


Nicolas Winding Refn:

Ein Name, bei dem man entweder begeistert mit der Zunge schnalzt – oder sofort das Weite sucht. So sehr polarisieren seine Filme. Und ja, ich verstehe beide Seiten. Refn macht keine Filme für zwischendurch. Keine „mal-eben-laufen-lassen“-Streifen. Seine Werke sind keine Geschichten, sie sind Zustände. Atmosphären. Tripartige Meditationen in Neonlicht getaucht, musikalisch unterlegt wie ein fiebriger Albtraum in Zeitlupe. Wer auf klassische Erzählstrukturen steht, könnte bei ihm wahnsinnig werden. Wer aber bereit ist, sich auf sein Kino einzulassen – auf Stil über Inhalt, auf Gefühl über Logik, auf Bilder statt Dialoge – der bekommt etwas, das es so in dieser Konsequenz selten gibt.

Und The Neon Demon ist vielleicht sein radikalstes Werk. Noch weniger Handlung, noch mehr Oberfläche – und doch brodelt darunter ein Abgrund, wie ihn wohl nur Refn ausleuchten kann. Der Film ist schön – betörend schön – aber auf eine kalte, entmenschlichte Weise. Er ist wie ein Schaufenster voller makelloser Gesichter, hinter denen der Wahnsinn lauert. Es geht um Jugend, um Schönheit, um Neid, um Auslöschung. Aber nicht als Drama oder Thriller – sondern wie ein Model-Catwalk in die Hölle. Wer Drive mochte, aber bei Only God Forgives ausgestiegen ist, wird hier wahrscheinlich wieder kapitulieren. Ich persönlich liebe es, wenn Filme so kompromisslos ihr eigenes Ding durchziehen – selbst wenn ich nicht immer weiß, ob sie mich gerade erschlagen, beleidigen oder faszinieren wollen.

Die Fakten: Erscheinungsjahr: 2016, Genre: Psycho-Thriller / Horror / Kunstfilm, Laufzeit: 117 Minuten, FSK: 16

Die Story: Jesse, jung, wunderschön, scheinbar unschuldig, kommt neu nach Los Angeles, um in der Fashion-Welt Fuß zu fassen. Ihre Ausstrahlung ist hypnotisch – Fotografen, Designer, Agenten liegen ihr schnell zu Füßen. Doch die Oberflächlichkeit der Branche entpuppt sich als Albtraum: Die Neiderinnen sind nicht nur toxisch, sondern bereit, jede Grenze zu überschreiten. Jesse gleitet immer tiefer in eine Welt aus Narzissmus, Besessenheit und bizarrer Gewalt – und wird dabei selbst Teil eines unheiligen Spiels um Macht und Perfektion.

 

Was The Neon Demon besonders macht – und auch so anstrengend für viele – ist diese völlige Verweigerung klassischer Sympathiefiguren. Niemand hier ist wirklich „gut“. Fast alle Figuren sind wandelnde Projektionsflächen – durchgestylt bis zur Unkenntlichkeit, leer im Inneren. Refn filmt sie nicht, als wären sie Menschen – sondern wie Skulpturen. Jede Einstellung ist ein Kunstwerk, jeder Schnitt sitzt wie ein Statement. Man kann das überkünstelt nennen. Oder radikal. Ich tendiere zu Letzterem. Denn wie er diese Hochglanzwelt seziert – mit Elektroniksoundtrack, stylisierter Kamera und einer fast körperlich spürbaren Kälte – das ist schon verdammt eigen und verdammt gut.

Nichts hier wirkt natürlich – und das ist volle Absicht. Die Räume sind zu leer, die Gesichter zu glatt, die Gespräche zu bedeutungslos. Man fühlt sich wie in einer sterilen Zukunftsversion von Black Swan, in der niemand mehr Gefühle hat – nur noch Oberflächen. Und darunter: Gewalt. Kälte. Verzweiflung. Die Kamera seziert jede Szene mit chirurgischer Präzision. Kein Schnitt zu viel, keine Bewegung zu hektisch. Alles wirkt wie durch einen Filter aus Glas.

Und dann sind da diese Szenen… Ich will gar nicht zu viel verraten, aber sagen wir so: Wer glaubt, schon alles im Kino gesehen zu haben, wird hier vielleicht ein oder zwei Mal seine Zunge verschlucken. Gerade im letzten Drittel wird’s richtig unangenehm. Und das meine ich als Kompliment. Der Horror, der sich nun Bahn bricht, ist kein klassischer „Monster-unterm-Bett“-Horror. Er ist körperlich, eklig, aber trotzdem klinisch. Er ist aufgeladen mit Bedeutung, mit Mythos, mit schrecklich schöner Symbolik. Die Gewalt kommt nicht unerwartet – sie wurde vorher vorbereitet wie eine perfekt inszenierte Modenschau. Jeder Schritt, jede Entscheidung wirkt fast kultisch. Refn zeigt keine Gewalt, um zu schockieren – sondern um die absolute Entmenschlichung seiner Figuren auf den Punkt zu bringen. Es geht nicht mehr darum, Jesse zu sein. Es geht darum, Jesse zu besitzen. Oder zu konsumieren. Oder zu... absorbieren.

Und gerade hier ist The Neon Demon am stärksten – weil er nicht urteilt. Weil er uns nicht erklärt, wie wir das alles zu finden haben. Weil er einfach dasteht, eiskalt, leuchtend, schön und grausam. Und wir müssen entscheiden: Gaffen wir nur – oder fühlen wir was?

Und das bringt mich zum Abschluss noch zu einem aktuellen Vergleich, von dem in der nahen Vergangenheit oft zu lesen war, der meiner Meinung nach aber nicht wirklich passend ist: The Substance – der aktuelle „Skandalfilm“ von Coralie Fargeat. Auch dort geht’s um Körper. Um Transformation. Um das brutale Geschäft mit dem weiblichen Körperbild. Beide Filme teilen eine Wut – aber sie drücken sie unterschiedlich aus. The Substance ist lauter, plakativer, expliziter. Fast schon ein Manifest, ein Aufschrei. The Neon Demon hingegen ist stiller, kühler, aber genauso abgründig. Während The Substance mit dem Hammer zuschlägt, arbeitet Refn mit dem Skalpell. Zwei Seiten derselben Medaille: das Frausein in einer Welt, die Schönheit verehrt – aber sie gleichzeitig vernichtet.

Klar, man kann argumentieren, dass Refn hier mal wieder Form über Inhalt stellt. Dass er uns nur schöne Leere zeigt und sich darin selbst gefällt. Aber ganz ehrlich: Wenn das alles nur Style over Substance ist – dann ist es der beste verdammte Style, den man sich vorstellen kann. The Neon Demon ist Kunstkino, das wehtut. Und das meine ich ganz ernst.

Herzlichst Sebastian