Nosferatu

Geschrieben am 13.05.2025
von Sebastian

"Ich habe dich gefühlt... kriechend wie eine Schlange in meinem Körper." - Ellen Hutter


Vor einigen Wochen habe ich bereits in meiner Betrachtung zum Werk von Robert Eggers einen kurzen Blick auf seinen letzten und damit aktuellsten Film "Nosferatu" geworfen. Das war mir aber nicht genug! Dieser Film ist so grandios, dass ich unbedingt noch einmal ausführlich darüber schreiben möchte.

Als Nosferatu als nächstes Projekt von Eggers angekündigt wurde, war ich augenblicklich in der ersten Klasse des Hypetrains unterwegs. Ich habe mir ein absolutes Meisterwerk ausgemalt. Robert Eggers beherrscht eine Sache einfach unglaublich gut: Atmosphäre! Und es ist nun mal so, dass es kaum ein atmosphärischeres Thema gibt als die Geschichte von Graf Orlok.

Kurz vorweg zur Einordnung: Was ist Nosferatu überhaupt? 1922 hat Wilhelm Murnau eine nicht autorisierte Version des Horrorbuch-Klassikers Dracula auf die Leinwand gebracht. Da Murnau damals die Rechte an "Graf Dracula" fehlten, wurde kurzerhand Nosferatu erfunden. Aus Graf Dracula wurde Graf Orlok, aus dem Makler Harker wurde Thomas Hutter, und aus der geliebten Mina wurde Ellen. Aus heutiger Sicht ein beeindruckender Vorgang, der zudem zu einem ebenso beeindruckenden Film geführt hat.

Ich habe diesen Stummfilm-Klassiker übrigens mal in einer Sondervorstellung im Oelder Kino gesehen – mit Live-Vertonung und Musik. Ein schönes Erlebnis. Aber klar: Ein 103 Jahre alter Stummfilm (so beeindruckend er auch ist) ist für heutige Sehgewohnheiten schwer vermittelbar und, ehrlich gesagt, auch nur noch bedingt empfehlenswert. Dann nahm sich – wie gesagt – der großartige Robert Eggers dieses Stoffes an und transportierte ihn auf herausragende Weise in die Neuzeit.

 

Die Fakten: Erscheinungsdatum: 2024, Genre: Horror, Laufzeit: 132 Minuten, FSK: 16.

Die Story: Im Jahr 1838 folgen wir dem jungen Makler Thomas Hutter, der nach Transsilvanien reist, um einen Immobilienvertrag mit dem geheimnisvollen Grafen Orlok abzuschließen. Zurück in seiner Heimatstadt Wisborg wird seine Frau Ellen von düsteren Visionen und einer unheimlichen Präsenz heimgesucht.

 

Dass Robert Eggers ein Meister der visuellen Umsetzung ist, habe ich bereits in der Gesamtbetrachtung versucht herauszuarbeiten. In Nosferatu ist jedes Bild ein Genuss. Die wunderschöne Optik verstärkt die wahnsinnig dichte Atmosphäre. Es sind schlichtweg beeindruckende Bilder – die Farben sind bewusst entsättigt (man wähnt sich fast in einem Schwarz-Weiß-Film). Ausstattung und Detailreichtum ziehen uns in eine schreckliche, aber zugleich faszinierende Welt.

Graf Orlok wird in Nosferatu – stärker noch als 1922 – als das wahre Grauen gezeigt. Er ist eine Plage, die über die Menschen kommt und alles Leben aus seiner Umgebung saugt. Kein Verführer, kein romantischer Vampir, wie ihn uns die Popkultur heute oft präsentiert. Orlok ist das personifizierte Böse. Ich bin Robert Eggers sehr dankbar, dass er allen modernen Konventionen widerstanden hat und uns Nosferatu so zeigt, wie er sein sollte.

Wie gesagt, der Stoff ist 103 Jahre alt (die Buchvorlage Dracula ist sogar noch 30 Jahre älter). Man muss schon einiges richtig machen, damit eine solche Geschichte heute noch funktioniert – und das tut sie! Man wird förmlich in diese morbide Welt hineingezogen. Ich bin nun wirklich nicht der größte Fan von Vampirfilmen, aber Nosferatu grenzt sich so radikal vom „Typischen“ ab, dass es eine wahre Freude ist.

Trotz aller Begeisterung muss ich aber auch ein kleines Manko ansprechen: Der Film wirkt im Mittelteil streckenweise ein wenig zu lang. Nicht jede Szene trägt spürbar zur Handlung bei, manche Einstellungen scheinen eher für die Atmosphäre als für den Erzählfluss gedacht zu sein. Das mag stilistisch gewollt sein – schließlich lebt der Film stark von seiner Stimmung – aber ein etwas strafferer Schnitt hätte dem Spannungsbogen in der Mitte gutgetan.

Bill Skarsgård (spielt übrigens auch Pennywise in ES) ist ein wirklich überzeugender Graf Orlok. Auch Nicholas Hoult und Lily-Rose Depp machen ihre Sache mehr als gut. Mein persönlicher Star des Films ist allerdings, wie so oft, Willem Dafoe. Er spielt den Nervenarzt mit den Methoden des Jahres 1838 großartig. Er balanciert ständig zwischen Genie und Wahnsinn, ohne auch nur eine Sekunde ins unfreiwillig Komische abzurutschen. Da hätte ich mir durchaus mehr Screentime gewünscht.

In Nosferatu kommen wieder alle Stärken von Robert Eggers zusammen: Ausstattung, Atmosphäre und visuelle Brillanz. Noch nie wurde eine Plage so eindrucksvoll dargestellt und in Szene gesetzt wie in diesem großartigen Film. Macht das Zimmer dunkel, dreht die Surround-Anlage auf und taucht ein in diese faszinierende Welt. Es ist wirklich toll.

Herzlichst Sebastian