Children of Men

Geschrieben am 05.04.2025
von Sebastian

"I can't really remember when I last had any hope, and I certainly can't remember when anyone else did either."


Alfonso Cuarón ist kein Regisseur, der einfach nur Geschichten erzählt – er schafft Erfahrungen. Wer seine Filme kennt, weiß: Bei ihm geht es nie nur um Handlung, sondern immer auch um das, was darunter liegt. Ob im intimen Y Tu Mamá También, im bildgewaltigen Gravity oder im Oscar-prämierten Roma – Cuarón interessiert sich für Menschen, für ihre Verletzlichkeit, ihre Sehnsucht, ihre Widerstandskraft. Und genau das macht Children of Men zu einem ganz besonderen Science-Fiction-Film.

Im Gegensatz zu vielen anderen Dystopien, die in glänzender High-Tech-Optik daherkommen oder in schwarz-weißen Zukunftswelten mit klarer Gut-Böse-Logik spielen, wirkt Cuaróns Zukunftsbild dreckig, roh und erschreckend vertraut. Hier gibt es keine rebellischen Teenager mit Pfeil und Bogen wie in Die Tribute von Panem, keine allwissende KI wie in Matrix, keine stilisierte Ästhetik wie in Blade Runner. Stattdessen: verfallene Städte, überforderte Regierungen, kalte Bürokratien, die Menschen wie Zahlen behandeln – ein Szenario, das sich näher an unserer Gegenwart anfühlt als uns vielleicht lieb ist.

Cuarón interessiert sich nicht für das große System, sondern für das, was es mit einzelnen Menschen macht. Für das, was passiert, wenn Hoffnung versiegt – und wie sie vielleicht doch wieder aufkeimen kann. Und genau da beginnt die Geschichte von Children of Men.

Die Fakten: Erscheinungsjahr: 2006, Genre Sci-Fi / Dystonie, Laufzeit: 106 min, FSK 12

Die Story: Das Jahr 2027. Die Welt ist im Eimer. Seit fast zwei Jahrzehnten ist kein einziges Kind mehr geboren worden. Keine Kinder, keine Zukunft – was übrig bleibt, ist eine Gesellschaft, die langsam aber sicher zerfällt. Überall herrscht Chaos, Kriege zerstören ganze Länder, und in Europa versucht Großbritannien irgendwie die Kontrolle zu behalten. Wie? Mit Stacheldraht, Militärpatrouillen und brutaler Flüchtlingspolitik. Wer es irgendwie ins Land geschafft hat, wird wie ein Krimineller behandelt, weggesperrt, entrechtet. Hoffnung? Fehlanzeige. Inmitten dieser düsteren Kulisse lebt Theo Faron, ein Mann, der mit allem abgeschlossen hat – seiner politischen Vergangenheit, seiner Beziehung, dem Glauben an irgendeinen Sinn. Doch plötzlich wird er von einer alten Bekannten kontaktiert und in etwas hineingezogen, das alles verändert: eine junge Frau namens Kee ist schwanger. Und das ist, in einer Welt ohne Kinder, ein Wunder. Jetzt liegt es an Theo, sie zu beschützen – durch ein Land voller Gefahren, Misstrauen und Gewalt.

 

Alfonso Cuarón hat mit Children of Men keinen klassischen Sci-Fi-Film gemacht. Hier gibt’s keine glänzenden Raumschiffe oder fancy Technik. Stattdessen zeigt er Euch eine Zukunft, die sich real anfühlt. Verdammt real. Die Städte sind heruntergekommen, Müll liegt auf den Straßen, und die Menschen haben diesen leeren Blick – als hätten sie längst innerlich aufgegeben. Das ist keine übertriebene Vision, sondern eine, die sehr bewusst mit unserer echten Welt spielt. Viele Bilder erinnern an aktuelle Nachrichtenbilder: überfüllte Flüchtlingslager, Polizeigewalt, Proteste, kaputte Infrastruktur.

Cuarón schafft es, dass Ihr Euch mittendrin fühlt. Und das liegt vor allem an der Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki. Die langen, ungeschnittenen Szenen sind legendär. Besonders eine Szene im Kriegsgeschehen – sechs Minuten ohne sichtbaren Schnitt – bringt Euch emotional und visuell an die Belastungsgrenze. Ihr fühlt jeden Schuss, jede Explosion, jedes aufgeschreckte Kind. Das ist nicht bloß Film, das ist wie live dabei sein.

Was „Children of Men“ so besonders macht: Trotz all der Trostlosigkeit ist da dieser kleine Funke Hoffnung. Kee, die junge Schwangere, ist keine Heldin im klassischen Sinn. Sie ist schüchtern, aber stark, und sie weiß: Ihr Baby ist etwas ganz Besonderes. Nicht nur für sie, sondern vielleicht für die ganze Menschheit.

Der Film stellt dabei große Fragen, ohne sie Euch aufzudrängen. Wie viel Menschlichkeit bleibt, wenn alles zusammenbricht? Was ist uns Freiheit wert? Wer sind „die Guten“, wenn jede Seite ihre eigene Wahrheit hat?

Auch religiöse Symbolik spielt mit rein – subtil, aber spürbar. Kee als „Mutter aller Hoffnung“, das Baby als neues Licht in der Dunkelheit. Aber keine Sorge: Das wird Euch nicht mit der Bibel um die Ohren gehauen. Stattdessen regt es zum Nachdenken an.

Clive Owen spielt Theo wunderbar zurückhaltend. Er ist kein Superheld, kein Kämpfer – einfach ein Mann, der langsam wieder beginnt zu fühlen. Seine Entwicklung vom abgestumpften Zuschauer zum aktiven Beschützer ist glaubwürdig und mitreißend. Ihr leidet mit ihm, Ihr hofft mit ihm – und manchmal haltet Ihr einfach nur den Atem an.

Michael Caine sorgt als alter Hippie Jasper für etwas Wärme im Film. Er lebt abseits vom Wahnsinn, raucht Gras und hört alte Musik – sein Haus ist eine kleine Oase. Und dann ist da noch Kee – keine perfekte Figur, sondern ein echter Mensch mit Ecken und Kanten. Ihre Stärke kommt nicht von Superkräften, sondern aus der Tatsache, dass sie glaubt. Dass sie weitermacht.

Neben der Kameraarbeit ist auch der Soundtrack ein echtes Highlight. Teilweise gibt es minutenlang gar keine Musik, was die Szenen noch intensiver wirken lässt. Wenn Musik eingesetzt wird, dann genau im richtigen Moment – melancholisch, eindringlich, nie zu viel. Die Geräuschkulisse ist roh und realistisch: Explosionen, Schreie, Regen, Maschinengewehrfeuer – alles trifft Euch direkt in die Magengrube.

Und auch das Produktionsdesign ist überragend. Werbung hängt in Ruinen, Überwachungskameras an jeder Ecke, Propagandaplakate mit Sprüchen wie „Only Britain Soldiers On“. Das Worldbuilding ist so stark, dass Ihr sofort in diese Realität eintaucht und Euch fragt: Wie weit sind wir eigentlich wirklich davon entfernt?

Children of Men ist kein Film, den Ihr einfach mal nebenbei schaut. Er fordert Euch, emotional wie gedanklich. Aber wenn Ihr Euch darauf einlasst, bekommt Ihr eine intensive, kluge, wahnsinnig gut gemachte Geschichte, die Euch lange begleiten wird.

Er ist politisch, ohne plump zu sein. Emotional, ohne kitschig zu werden. Und filmisch einfach auf höchstem Niveau.

Ein Meisterwerk, das gerade durch seine Zurückhaltung so viel Kraft entfaltet. Für alle, die Filme lieben, die etwas sagen wollen – und es auch schaffen.

Herzlichst Sebastian