"Well, now your sister is dead! And I know you miss her and I know it was an accident and I know you're in pain and I wish could take that away for you. I WISH I could shield you from the knowledge that you did what you did, but you're sister is dead!" - Anni Graham
Ich sag es direkt, ohne weitere Umschweife, so wie es ist: Hereditary ist der beste Horrorfilm der letzten Dekade.
Genau so könnte eine Einleitung zu einer Rezession für diesen modernen Klassiker aussehen und es wäre komplett richtig.
Herditary ist ein stark bebildertes Familiendrama mit beklemmender Atmosphäre und einer sensationellen Hauptdarstellerin. Klingt komplett anders, ist aber interessanterweise genauso richtig. Selbst wenn ich sagen würde: "Bei Hereditary handelt es sich um eine außergewöhnliche Coming-Of-Age-Geschichte" wäre dies eine valide Sichtweise.
Hier speist sich der Horror nicht aus den (gerade im letzten Drittel vorhandenen) übernatürlichen Komponenten oder aus billigen Erschreckmomenten. Der wahre Horror ist ganz und gar natürlichen Ursprungs und schlimmer als jeder jemals erdachte Horrorclown oder jede bekannte Zombieinvasion. Hier wird ein Monster erschaffen, welches viel tiefer geht als einfach nur Angst und Schrecken zu verbreiten.
Ari Aster gelingt mit diesem fantastischen Genrestück etwas äußerst seltenes. Gerade im Horrorkino gibt es tonnenweise Filme die wollen clever sein, etwas außergewöhnliches bieten. Die allermeisten sind es nicht und tun es nicht. Hereditary macht etwas, was die anderen Vertreter nicht tun: Er traut sich etwas! Er fordert den Zuschauer heraus und ich, als eben dieser Zuschauer, bin dankbar dafür.
Die Fakten: Erscheinungsdatum: 2018 Genre: Horror / Drama Laufzeit: 127 min Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Die Story: Als die Großmutter einer scheinbaren Bilderbuchfamilie verstirbt, bringt dies das Familiengefüge aus dem Gleichgewicht und es kommen schreckliche Familiengeheimnisse ans Tageslicht.
Ja ich weiß, diese Storybeschreibung hört sich äußerst nichtssagend und austauschbar an. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Hereditary funktioniert am besten, wenn so wenig wie möglich über die eigentliche Handlung bekannt ist. Ich kann allerdings verraten, dass die Geschichte mehrere Wendungen und Abzweigungen nimmt, die man sicher nicht voraussehen kann. Ich wünschte wirklich, ich könnte den Film noch einmal zum ersten Mal sehen.
Ich würde mich als erprobten und auch mittlerweile "geschulten" Horrorgucker beschreiben. Die meisten klassischen Motive und "cleveren" Einfälle des Horrorfilms sehe ich kommen. Es kommt wirklich sehr selten vor, dass ich im Kinosessel sitze und mir ein gedankliches "What The Fuck" durch den Kopf schießt. Hereditary hat dies gleich auf mehreren Ebenen geschafft. Es gibt diese Momente, weil wir Dinge auf der Kinoleinwand gezeigt bekommen und darauf mit offen stehenden Mund reagieren. Und es gibt sie, weil wir hier mitdenken können und die Groschen langsam fallen, sich das Puzzle in unserem Kopf langsam zu einem Bild zusammensetzt. Einem Bild welches vor Angst und Schmerz nur so trieft. Genau diese Momente sind es, die diesen Film zu einem wirklich besonderen Erlebnis machen. Ari Aster gibt während der Laufzeit zahlreiche Hinweise, er zeigt uns, wo die Reise hingeht. Dies macht er aber so subtil und clever, dass wir die Verbindung erst ziehen, sobald es im Kopf "Klick" macht. Toll!
Meiner Ansicht nach muss man noch zwei weiteren Dinge herausstellen:
Erstens das Schauspiel von Toni Collette. Sie spielt Anni Graham, die Mutter der Familie bzw. die Tochter der zu Beginn verstorben Großmutter. Was Frau Collette hier leistet sollte mit einem eigens dafür erfundenen Preis geehrt werden. Diese Aufopferung für die Rolle, diese Härte und Zerbrechlichkeit. Sie spielt es so, als würde die Trauer sie tatsächlich von innen heraus auffressen. Das ist wahrlich großes Kino.
Zweites: Hereditary ist ein Debütfilm. Der erste Langfilm von Ari Aster. Ein solch cleveres, zermürbendes und packendes Werk als Karrierestart abzuliefern ist eigentlich nicht möglich. Vor einigen Jahren hat er mit "Midsommar" einen zweiten großartigen Horrorfilm nachgelegt. Ari Aster hat sich direkt in die Riege der spannendsten Filmemacher der aktuellen Zeit katapultiert.
Fazit: Jeder, wirklich jeder, der auch nur das Geringste mit einer ernsthaften und bedrückenden Kinoerfahrung anfangen kann, muss Hereditary gesehen haben. Ein wahres Meisterwerk. Ich beneide jeden, der diese Erfahrung noch machen kann.
Herzlichst Sebastian