"Kiri kiri kiri kiri kiri kiri" - Asami
Takashi Miike hat in seiner Karriere – die erst Anfang der 1990er begann – schätzungsweise über 120 Filme gedreht. Allein diese schiere Menge ist beeindruckend. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich Miike durch nahezu jedes erdenkliche Genre gearbeitet – von Komödie über Fantasy bis hin zum Historienfilm. Dennoch lässt sich eines seiner Steckenpferde klar erkennen: besondere Bekanntheit und auch Anerkennung erlangte Miike vor allem durch seine Arbeiten im Horrorgenre. Filme wie Ichi the Killer oder Visitor Q sind berüchtigt für ihre extremen, beinahe comichaft überzeichneten Gewaltdarstellungen.
Auch qualitativ finden sich unter seinen Werken herausragende Filme. Im Jahr 1999 erschuf Miike aus meiner Sicht ein wahres Meisterwerk: Audition. Dieser Film ist eine ganz besondere Reise. Was als ruhige Romanze beginnt, entwickelt sich mit fortschreitender Laufzeit zu einem verstörenden Horrorthriller über Einsamkeit und seelische Abgründe.
Die Fakten: Erscheinungsjahr: 1999, Genre: Horror / Romanze / Thriller, Laufzeit: 115 Minuten, FSK: ab 18 Jahren
Die Story: Shigeharu Aoyama, ein verwitweter Filmproduzent mittleren Alters, sucht sieben Jahre nach dem Tod seiner Frau nach einer neuen Partnerin. Auf Anraten eines Freundes veranstaltet er ein fingiertes Film-Casting, bei dem er auf die junge, scheinbar schüchterne Asami Yamazaki trifft. Von ihr fasziniert, beginnt er eine vorsichtige Annäherung. Doch was zunächst wie eine klassische Liebesgeschichte erscheint, entwickelt sich schrittweise zu einem Albtraum, als Asamis dunkle Vergangenheit und ihre verstörenden Neigungen ans Licht kommen.
Im Horrorgenre gibt es den Begriff „Slow Burn“ – eine Erzählweise, bei der sich Spannung langsam, oft subtil, bis zum dramatischen Höhepunkt aufbaut. Audition ist ein Paradebeispiel dafür. Der Film beginnt ruhig, fast melancholisch. Takashi Miike gibt seinem Publikum Zeit, sich auf die Geschichte einzulassen, sich mit den Figuren zu beschäftigen. Gerade deshalb trifft der Bruch in der zweiten Hälfte mit umso größerer Wucht. Der Film kippt gnadenlos ins Verstörende und erschüttert seine Zuschauer nachhaltig.
Miike spielt virtuos mit unseren Erwartungen. Er bedient sich zunächst klassischer Elemente aus Drama und Liebesfilm, nur um diese später gezielt ins Gegenteil zu verkehren. Diese Wendung verleiht Audition seine Einzigartigkeit und macht ihn zu einem Meilenstein des modernen Horrorkinos.
Die Atmosphäre kippt schleichend – unterstützt durch präzise Kameraführung, stimmungsvolles Sounddesign und ein Spiel mit Realität und Halluzination. Spätestens im letzten Drittel verwandelt sich der Film in puren Horror: körperlich, psychisch, extrem intensiv.
Hervorzuheben ist die schauspielerische Leistung von Eihi Shiina in der Rolle der Asami. Ihre Darstellung agiert perfekt zwischen Zerbrechlichkeit und latenter Bedrohung. Ihr Blick, ihre Bewegungen, ihre Wandlungsfähigkeit – all das verleiht dem Film seine düstere Tiefe. Die Figur der Asami trägt den Film, und Shiina trägt diese Figur mit Bravour.
Audition ist weit mehr als ein Horrorfilm. Er behandelt tiefgreifende Themen wie männliche Projektionen, emotionale Isolation, Schuld und Rache. Besonders spannend ist die Geschlechterdynamik: Aoyamas Suche nach der „idealen Frau“ wirkt in ihrer Naivität und Kontrolle zutiefst patriarchalisch. Asami kontert diese Vorstellung mit einer radikalen Gegenerzählung. Der Film stellt so unangenehme, aber wichtige Fragen über Macht, Sexualität und Trauma.
Zum Abschluss eine wichtige Warnung: Audition enthält gegen Ende extrem verstörende Szenen physischer und psychischer Gewalt. Diese sind nicht nur grafisch, sondern auch emotional sehr intensiv inszeniert. Insbesondere die finale Sequenz gilt als eine der schockierendsten im modernen Horrorfilm und hat bei vielen Zuschauern nachhaltige Wirkung hinterlassen. Die Gewalt ist jedoch nicht selbstzweckhaft, sondern dramaturgisch eingebettet – sie spitzt das Thema konsequent zu. Dennoch: Wer empfindlich auf realistisch dargestellte Folter, Kontrollverlust oder psychischen Terror reagiert, sollte sich gut überlegen, ob dieser Film für ihn geeignet ist.
Audition ist ein filmisches Erlebnis. Takashi Miike beweist mit diesem Werk seine Vielschichtigkeit als Regisseur und zeigt, dass wahrer Horror aus menschlichen Abgründen entsteht. Die Verbindung aus psychologischer Tiefe, gesellschaftlicher Reflexion und schockierendem Horror macht den Film zu einem modernen Klassiker, den man gesehen haben sollte.
Herzlichst Sebastian